Mädchengrab

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Im Februar 1992 wurde bei den umfangreichen Domgrabungen des Denkmalamtes von Dr. Andrea Hampel, der heutigen Leiterin des Amtes, ein frühmittelalterliches Kindergrab mit sehr reicher Schmuckausstattung und weiteren Beigaben freigelegt. Bereits 1994, ein Jahr nach Abschluss der Grabungen und rechtzeitig zum 1200-jährigen Stadtjubiläum, konnte Frau Hampel einen umfangreichen und üppig bebilderten Grabungsbericht mit ausführlicher Befunddokumentation und Auswertung vorlegen. Dieses Grab belegte erstmals die Bedeutung Frankfurts schon einhundert Jahre vor seiner Erstnennung 794.

Domgrabung im Februar 1992. Blick auf das freigelegte Kindergrab im westlichen Langhaus.


Die Funde aus der Domgrabung einschließlich des gesamten Grabinventars gingen an das zum Bistum Limburg gehörende Dommuseum, wo sie seitdem verwahrt beziehungsweise ausgestellt werden. Im Archäologischen Museum Frankfurt sind Nachbildungen der Beigaben ausgestellt, die 2006 in den Werkstätten des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz angefertigt wurden. Im Zuge dieser Arbeiten fanden in Mainz auch aufwändige Restaurierungen und umfangreiche Materialanalysen am Grabinventar statt. Weitere restauratorische, naturwissenschaftliche (z. B. 14C-Datierungen, Isotopenanalysen, anthropologische und textilkundliche Untersuchungen) sowie antiquarische und historische Studien wurden vom Archäologischen Museum Frankfurt veranlasst beziehungsweise selbst durchgeführt. Mehr als 20 Jahre nach der Erstpublikation können jetzt die Ergebnisse dieser neuen Forschungen in Band 22/2 der wissenschaftlichen Schriftenreihe des Museums vorgelegt werden. Sie eröffnen eine völlig neue Sicht auf den wohl spektakulärsten archäologischen Grabfund Frankfurts und sind von großer Bedeutung für die frühe Herrschafts-, Sozial- und Religionsgeschichte der heutigen Bankenmetropole.

 

Grabbau und -ausstattung

Es handelt sich nicht, wie zunächst gedacht, um die Bestattung eines einzelnen Kindes, sondern von zwei Kindern – beide im Alter von 4 Jahren – die nebeneinander in einem Sarg lagen. Das eine war das seit langem bekannte Mädchen, nach fränkisch-merowingischer Sitte mit reicher Kleidung und Schmuck körperbestattet. Das andere Kind war auf einem Bärenfell liegend verbrannt und in Form eines Leichenbrandnestes sowie mit einem Speisetöpfchen deponiert worden. Im Leichenbrand fanden sich auch die kremierten Krallen (Phalangen) eines Braunbären sowie Knochen verschiedener Speisetiere. Nach den spärlichen Knochenresten des kremierten Kindes konnte sein Geschlecht nicht bestimmt werden. Das durch die Kleidung als Mädchen erkennbare Kind hingegen wies diskrete Kariesschäden sowie eine krankheitsbedingte Wachstumsstörung im 4. Lebensjahr auf. Über beide Kinder hatte man ein Tuch gebreitet, auf das gewebte Goldborten in Kreuzform aufgenäht waren. Damit sollte die Bestattung als ganze christlich signiert werden.


Blick in die Grabkammer mit Sarg und im Süden abgestellten Speise- und Trankbeigaben. Die Kammer war mit einer doppelten Holzbohlenlage bedeckt (Rekonstruktionsvorschlag: E. Wamers; Ausführung: Architectura Virtualis Darmstadt).

 

Der Rechteckbau

Der kleine, im 7. Jahrhundert errichtete Rechteckbau mit partieller Fußbodenheizung, in den das Doppelgrab eingetieft worden war, war kein früher Kirchenbau und Vorgänger der späteren Pfalzbasilika, sondern das Wohnhaus des örtlichen Klerikers (domus ecclesiae) – als Bautyp vermutlich eine Entlehnung aus Gallien und Hinweis auf einen hochrangigen Geistlichen. Nach der Beisetzung diente der Bau jetzt vermutlich als cella memoria, in dem die Kinder verehrt werden konnten. Die 855 von König Ludwig dem Deutschen errichtete Pfalzbasilika wurde exakt mit der Mittellinie über dem Grab positioniert – sicher zum fortdauernden Gedenken an die beiden Kinder.

Der kleine Rechteckbau (dunkelrot) mit partieller Fußbodenheizung, in den das Doppelgrab (rot) eingetieft worden war, war vermutlich das Wohnhaus des örtlichen Klerikers (domus ecclesiae). Hier mit Apsidenbau (dunkelrot) und Gräbern des 7. bis 9./10. Jahrhunderts (blau-grau) – eingetragen auf dem Grundriss der Frankfurter Bartholomäuskirche („Dom").


Datierung

Die neue antiquarisch-archäologische Auswertung der Funde bestimmt den Zeitpunkt der Grablege beider Kinder in die ersten Jahrzehnte des 8. Jahrhunderts, etwa 700–730 n. Chr. Das ist die Phase des Endes der merowingischen Königsherrschaft und des Aufstiegs der karolingischen Hausmeier unter Karl Martell. In diese Zeit fällt auch die Missionsarbeit und Kirchenreform des Bonifatius in Hessen und Thüringen.


Kleidung und Schmuck des Mädchens

 

Lebensbild-Rekonstruktion des Mädchens aus der Bestattung unter der Frankfurter Bartholomäuskirche (Entwurf: E. Wamers; Ausführung: Florent Vincent, Paris).

Von der ursprünglichen Kleidung des Mädchens konnten winzige Reste von insgesamt acht verschiedenen Gewebe-arten identifiziert werden. Es trug eine Tunika und darüber ein gemustertes Überkleid; um die Schultern (und Kopf) war ein feiner Schleier gezogen. Der kostbare Schmuck (drei goldene Fingerringe, goldene Bommelohrringe, drei silberne und bronzene Armreife, eine goldene Granatscheiben- und eine silbervergoldete Bügelfibel, eine Pektorale mit goldenen Filigran-anhängern) war eigens für das Kleinkind angefertigt oder zurechtgemacht worden. Er gehört zum Besten, was in jener Zeit am Rhein und in Süddeutschland getragen wurde und ist mit der Ausstattung merowingischer Damen des Hochadels vergleichbar. Herausragend sind eine um den Hals getragene Riechdose mediterranen Typs sowie ein am Gürtel getragenes Amulett aus (Mammut-)Elfenbein.


Riechdose mediterranen Typs mit abgenommenem Deckel.


Die skandinavische Brandbestattung

Die im Sarg neben dem Mädchen angetroffene Brandbestattung mit einem Bärenfell ist altgermanisch und kann im 7. und 8. Jahrhundert auf dem Kontinent nur durch unmittelbare Einflüsse aus Skandinavien erklärt werden. Ähnliche Befunde östlich des Rheins machen zur Gewissheit, dass das zweite, brandbestattete Kind im Sarg skandinavischer Herkunft war. Auch einer der Goldanhänger im Pektorale des Mädchens weist nach Norden: es stellt ein altes skandinavisches Amulett dar. Seit dem 6. Jahrhundert ist die Anwesenheit von skandinavischen Familien auf dem Kontinent archäologisch belegt. Bi-rituelle Bestattung wiederum, also Körper- und Brandbestattungen in einem Grab, zeigen eine ausgeprägte westthüringische und mainfränkische Verbreitung, was mit der ethnisch-religiösen Sonderstellung dieses Raums in Zusammenhang stehen dürfte. Bonifatius, der hier von 721 bis 732 missionierte und Bistümerund Klöster gründete, und Papst Gregor III. (738 in einem Schreiben an Hessen und Thüringer) beklagten sich sehr über das heidnische Treiben dieser Völker. (Abb. 10 und 11)

 

Teile des Brandgrabes aus dem Kindergrab: freigeformter Keramiktopf (Nachbildung) für Speise, Teile des konservatorisch gefestigten Leichenbrandnestes sowie sechs der acht im Leichenbrand entdeckten kalzinierten Bärenkrallen.


Frankfurt im 7. und 8. Jahrhundert

Frankfurt in der Zeit vor Karl dem Großen liegt im historischen Dunkel. Als Franconofurd, „Furt der Franken", war es im 6. Jahrhundert auf dem heutigen Domhügel als fränkisch-merowingischer Königshof (villa) gegründet worden. Dieser bildete das Zentrum umfangreichen königlichen Fiskalbesitzes und fungierte als Brückenkopf für die fränkische Expansion östlich des Rheins. Der Fiscus Franconofurd wurde von einem Actor oder Iudex aus fränkischem Adel verwaltet. Zur Familie dieses Amtmanns gehörte das Mädchen. Das zweite Kind stammte aus einer skandinavischen Familie, die – wie die aufwändige Bärenfell-Brandbestattung bezeugt – ebenfalls zur Elite gehörte und die, fernab der Heimat lebend, vermutlich seit mehr als einer Generation mit der ostfränkischen Familie eng verbunden war. Durch das bi-rituelle Kinderdoppelgrab lässt sich Frankfurt um 700 dem historisch bis Aschaffenburg reichenden mainfränkisch-thüringischen Dukat von Würzburg zuweisen, dessen Herzogsfamilie der Hedene völlig eigenständig regierte und erst von Karl Martell um 720 n. Chr. entmachtet wurde.

 

Ostfranken um 700 n. Chr. Von den Franken abhängige Herzogtümer; Völker und Völkerschaften laut Brief Papst Gregors III von 738.

Die erschlossene Verbindung Frankfurts um 700 zum mainfränkischen Adel zeigt sich auch noch 100 Jahre später bei der Frankfurter Synode von 794. Karl der Große hatte sie wahrscheinlich auf Vorschlag seiner vierten Frau Fastrada hierher einberufen, denn ihre Familie war im Frankfurter Raum begütert und hatte verwandtschaftliche Beziehungen zu den Hedenen und stammte wohl aus der großen mainfränkischen Adelsfamilie der Mattonen. Die sicherlich noch lebendige Verehrung am denkwürdigen Kindergrab muss noch bis über 855 hinaus angehalten haben, als Karls Enkel Ludwig der Deutsche die neue Pfalzkirche seiner Hauptresidenz auf dieses ehrwürdige Grab hin ausrichtete.

 

Die Mainlande um 800. Rote Fläche: Fiskalbezirk Frankfurt-Trebur mit Königsgut, einschließlich Reichsforst und Wildbann. Die blaue Fläche umreißt die Besitzkonzentration der Adelsfamilie der Mattonen.

 

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